Offener Brief an den Präsidenten des NRW - Schachbundes Herrn Dr. Hans-Jürgen Weyer als Antwort auf eine Email vom 12.7.2001
15.7.2001

Sehr geehrter Herr Dr. Weyer,

Ich danke Ihnen für Ihre Mail, zeigt sie doch, daß es noch einiger Klarstellungen bedarf, was die Ziele und Hintergründe meines auf schach.com veröffentlichen Aufrufes betrifft.

1. Was schiefgegangen ist.

Engagement für das Schach einigt uns alle: Vom einfachen Mitglied über Funktionsträger im Bezirk bis zum Verband oder auf höherer Ebene. Der Lohn für harte Arbeit und viel Schweiß sind Erfolge, erfolgreiche Veranstaltungen und Freude für viele Schachneulinge, aber auch die Genugtuung, in der Öffentlichkeit als erfolgreiche Sportart wahrgenommen zu werden. Wir alle möchten etwas von der Freude, die uns das Spiel bereitet, weitergeben. Jede gelungene Schachveranstaltung, die die Öffentlichkeit erreicht, transportiert diese Freude nach außen. Die Austragung einer Jugend - Europameisterschaft wird die Öffentlichkeit erreichen. Und die Schachjugend hat mit der Austragung der Deutschen Meisterschaft gezeigt, daß die Euro gelingen kann.

Meine Kritik trifft nicht (nur) die Entscheidung selbst, die Ausrichtung der Europameisterschaft nicht zu unterstützen. Eine solche wäre aus vielen sachlichen Gründe u.U. letztlich nachvollziehbar. Mein Unverständnis betrifft das Verhalten des geschäftsführenden Präsidiums. Jedes Mitglied des Deutschen Schachbundes erwartet zu Recht, daß ein Vorhaben von solcher Qualität und Tragweite aufgeschlossen geprüft wird, sich die einzelnen Verantwortlichen mit all ihren Mitteln, herausragendem Sachverstand und jahrelang bewiesenem persönlichem Engagement für ein solches einzusetzen. Und die Initiatoren in Ihrem Einsatz zu unterstützen, so lange es um das Schachspiel und dessen positive Ausstrahlung in der Öffentlichkeit geht. Hierfür zahlen hunderttausend Mitglieder ihre Beiträge und opfern tausende von Helfern hunderttausende von Stunden. Dies ist in diesem Fall nicht geschehen. Statt Lösungen zu suchen, fehlende finanzielle Mittel durch Sponsorengelder zu beschaffen, organisatorische Details zu erörtern und Hilfe anzubieten, wurden die Initiatoren vom geschäftsführenden Präsidium nicht angehört.

Sicherlich könnte man andere Projekte des Schachbundes anführen, die der Wirkung einer Jugendeuropameisterschaft in Motivation des eigenen Nachwuchses und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gleichkommen und durch die Europameisterschaft gefährdet würden. Nur - mir sind keine bekannt.


2. Initiator des Aufrufes und warum Anlaß zur Sorge besteht.

Mein Aufruf an die Öffentlichkeit ist nicht als Angriff auf das Präsidium gedacht, bestimmte Entscheidungen zu erzwingen. "Agitation" zu betreiben, wie Sie in Ihrem Brief an mich schreiben. Es ist der Versuch, eine Fehlentscheidung zu korrigieren, die viele ehrenamtliche Helfer, Arbeiter für die Sache Schach, um den Lohn für ihr Engagement bringt.

Es war das Ziel dieser Aktion zu zeigen, daß es viele aktive Freunde des Schachs gibt, die sich Engagement für ein herausragendes Projekt wünschen und sich für die Initiativen anderer einsetzen. Und es war mein persönliches Ziel. Nicht das Ziel der Deutschen Schachjugend, eines Ihrer Mitglieder oder Funktionäre, die alle erst durch die Veröffentlichung meines Aufrufs auf mein Anliegen aufmerksam wurden.

Es besteht Anlaß zur Sorge.

Veranstaltungen wie die ChessClassics, die Dortmunder Schachtage oder das Borowski-Turnier sind herausragenden Initiatoren wie Hans-Walter Schmitt, der Stadt Dortmund und Julian Borowski zu verdanken. Denken wir an die Arbeit von Christian Zickelbein und seine Veranstaltungen in Einkaufszentren rund um Hamburg, die an jedem Veranstaltungstag Tausende von Bürgern mit dem Thema Schach konfrontieren. Die Internationalen Meisterschaften von Hamburg bringen buntes Leben in blutarme Landesmeisterschaften und sind eine Initiative von Jürgen Kohlstädt. Die Deutsche Schachjugend erreicht viele tausend Besucherkontakte auf Veranstaltungen wie der Expo, den Bundesjugendspielen und Messen. Aber wir müssen auch an Veranstaltungen wie die Simultanspiele von Elisabeth Pähtz und Garry Kasparov mit den Klitschko-Brüdern auf dem Leipziger Bahnhof oder an die Veranstaltung "links und rechts vom Nekar 2001" denken. Alle diese Leistungen prägen das Bild vom Schach in Deutschland. Hunderttausende von Besucherkontakten wurden erzielt. Wieviele davon sind dem Schachbund zuzuschreiben?

Sie können es besser einschätzen als ich: Hunderten, vielleicht tausenden ehrenamtlichen Mitgliedern ist es zu verdanken, daß sich der Spielbetrieb in Deutschland so darstellt, wie wir es erträumen: Die Ergebnisse von der Bundesliga bis teilweise in die Kreisligen hinunter sind bereits wenige Stunden nach dem Beenden der Partien im Internet zu finden. Die Spielleiter opfern viele Stunden ihres Wochenendes, viele Jahre ihres Lebens, um den Turnierbetrieb zu ermöglichen. DWZ - Referenten kämpfen sich immer wieder neu durch Fluten von Ergebnissen und sich ändernde Vorschriften. Und auch sie präsentieren die Ergebnisse Ihrer Arbeit oft innerhalb weniger Tage nach dem Eintreffen der Daten. Alle sie kämpfen für das Ansehen unseres geliebten Hobbys, möchten ihre Freude am Spiel an die Öffentlichkeit weitergeben.

Wir haben als Bund Schwierigkeiten mit dem Thema "öffentliche Veranstaltungen". Davon zeugen zum einen die Probleme des Referenten für Breitensport Ernst Bedau, seine Ziele innerhalb des Bundes durchzusetzen und zum anderen der Mangel an öffentlicher Repräsentation unseres geliebten Spiels. Dies ist bedauerlich. Aber wir dürfen deshalb nicht die Initiative anderer ersticken, wie hier das Projekt der Schachjugend zur Europameisterschaft.


3. Demokratie innerhalb des Schachbundes

Wie in jeder demokratischen Organisation müssen wir innerhalb des Schachbundes unterschiedliche Meinungen ab einem bestimmten Punkt öffentlich diskutieren. So, wie wir es in der vergangenen Zeit taten und - dessen bin ich sicher - auch in der Zukunft tun werden. Dies macht vor Entscheidungen der Führungsspitze nicht halt. Nicht allein das Zahlen unseres Mitgliedsbeitrags, insbesondere die implizite Verantwortung zur aktiven Mitarbeit nimmt auch uns einfache Mitglieder in die Pflicht. Aktive Mitarbeit setzt aktuelle Information voraus. Die haben wir geliefert.


4. Überdenkenswerte Annahmen Ihrer Mail

Sie fragen, woher ich die Sicherheit nehme, daß "alle Schachspieler, Schachkidies und Schacheltern" über die notwendigen Kenntnisse und Informationen verfügen, um den Sachverhalt korrekt bewerten zu können? Sie haben die Deutschen Meisterschaften als Vorbild der Europameisterschaft erlebt. Sie waren da. Von den Vertretern des geschäftsführenden Präsidiums war keiner da - wie schon seit Jahren nicht.

Doch die Frage ist falsch gestellt. Sicherlich sind einzelne Schachfreunde und "Schacheltern" überfordert, die Details der Umsetzung eines solchen Projektes zu überschauen. Aber deren Wünsche sind der Grund, warum es den Schachbund gibt. Erster Imperativ für Funktionäre des Schachbundes ist es zu fragen, was seine Mitglieder wollen. Der zweite Schritt ist es - mit aller Kraft - zu fragen, wie die Organisation diesen Traum umsetzen kann. Und erst im dritten Schritt kann eine Entscheidung fallen. Dies ist - sicherlich nur kurzzeitig - in Vergessenheit geraten.

Sie sagen, es sei nicht rechtens, Herrn Schlya mit Emails zu überhäufen. Es ist nicht das Ziel, Herrn Schlya unter Druck zu setzen. Wir haben den Herrn Präsidenten lange Jahre bei seiner Arbeit als Landesvorsitzenden beobachten können und werden sicherlich alle die Meinung teilen, daß ihm die Sichtweise aller Schachfreunde stets ein wichtiges Anliegen war. Ich bin sicher,daß ihm jede einzelne wichtig ist.


5. Das Präsidium wird die richtige Entscheidung treffen

Ich bin überzeugt, daß unser geschätzter Präsident Alfred Schlya, der sich in der Vergangenheit große Verdienste um das Schachspiel erworben hat, auch in der Zukunft sich mit Engagement für unsere gemeinsame Sache einsetzen wird. Ich bin sicher, daß er Aufruf und die erhaltenen Emails nicht als Druck, sondern als befruchtende öffentliche Meinungsäußerung versteht und entsprechende Konsequenzen für die Arbeit des Schachbundes zieht. Ich bin zuversichtlich, daß das Präsidium die Haltung zur Europameisterschaft überprüfen und sich im Sinne aller engagierten Schachspieler in Deutschland entscheiden wird.

Mit freundlichen Grüßen
Axel Fritz
axel.fritz@schach.com
www.schach.com