Deutsche Jugend Einzelmeisterschaften 2001
[ Willingen, 3.-9. Juni 2001]

 

Stellungnahme der Deutschen Schachjugend

In einem Bericht über die DJEM hatten wir die Wertungsmethoden kritisiert und den Vorsitzenden der Deutschen Schachjugend Michael Juhnke sowie den nationalen Spielleiter der Schachjugend Norbert Lukas um Stellungnahmen gebeten. Unser Dank an beide für Ihre Antworten!

Stellungnahme von Michael Juhnke
Stellungnahme von Norbert Lukas

Fragen an Norbert Lukas

Michael Juhnke:

Hallo Bert

über die Ermittlung der Plazierung entscheidet die Spielordnung der Deutschen Schachjugend, die von den Landesschachjugenden auf der Jugendversammlung der DSJ verabschiedet wird.

Über Sin und Unsinn lässt sich trefflich streiten. Ich persönlich bin generell auch eher für die Buchholzwertung, kann aber auch die andere Wertung z.B. für die U18 akzeptieren, da hier bereits gefestigte Zahlen vorliegen. Bei U10 und U12 wird die DWZ und ELO schon deshalb nicht herangezogen, weil diese Zahlen nicht sehr aussagekräftig sind.

Eine Diskussion dieser Thematik wäre vor allem im Arbeitskreis Spielbetrieb der DSJ, bei den Landesschachjugenden sowie bei den Experten für den Leistungssport angebracht.

MfG Michael Juhnke

 

Norbert Lukas:

Liebe Schachfreunde,
mit Freude habe ich den Bericht bei schach.com gelesen, denn es war in der Tat eine gelungene Veranstaltung. Bezüglich der Problematik "Feinwertung" möchte ich wie folgt Stellung nehmen:

Bei Punktgleichheit ergibt sich beim Schach immer das Problem einer sinnvollen Feinwertung, da es nicht wie beim Fußball (Torverhältnis) ein natürliches Kriterium gibt. Selbst bei Mannschaftswettbewerben ist dies nicht immer einfach: In Deutschland Mannschaftspunkte und dann Brettpunkte; international
ist aber nur Brettpunkte üblicher.

Jede Feinwertung hat ihre Vor- und Nachteile und kann immer nur versuchen, möglichst leistungsgerecht die Plätze zu vergeben:
Gegnerwertung: direktes Duell hat Einfluß, ELO oft höher als DWZ, berechenbar
Buchholz:
Rücktritte, Losglück, mit Restrisiko berechenbar
Summenwertung: berechenbar (erleichtert Kurz-Remisen). Falls 3 Spieler Turnier dominieren (nur untereinander Remis) entscheidet Reihenfolge der direkten Duelle über Reihenfolge am Ende...
Streichwertungen bei BHZ: willkürlicher Eingriff
Siegwertung: Warum ist Sieg+Niederlage besser als 2 Remis ?
Schwarzwertung: Warum ist im Extremfall 4,5 aus 5 mit Schwarz besser als 4
aus 4?
Keizersystem: Mischung von Normalpunkten und Feinwertung zu einer Wertung, aber wenig verbreitet.
Sonneborn-Berger (bei vollrundigen Turnieren): Warum Sieg gegen jemanden von oben mehr wert, wenn man dafür gegen unteren Spieler verliert. Überraschungen beim Schach im Zweifelsfall belohnen. Erinnert bei oberen Platzierungen an das Kriterium direktes Duell.
Direktes Duell: Bei Schweizer System nicht gewährleistet
Verfeinerte Summenwertungen oder BHZ: wenig aussagekräftig...

Fazit: Jede Feinwertung hat ihre Nachteile. Sie haben aber alle langjährig
Bestand in der Praxis, ohne das ein Kriterium als unzufriedend ausgemustert
wurde. Jedes Kriterium kann gerecht sein, vorausgesetzt jeder Spieler weiß vor
Beginn welche Kriterien zählen, denn dann kann man sich darauf einstellen!

Zu den Beispielen:
1)
Korotkjevitch wußte um seine knapp schlechtere Feinwertung, machte aber
wegen Nervenflattern dennoch Remis, da er Absturz auf Platz 4 fürchtete (im
Nachhinein wäre er selbst mit Schlußniederlage Dritter geblieben). Er hatte es
also selbst in der Hand, Meister nach Normalpunkten zu werden!
Es gab verglichen mit Pähtz 5 gleiche Gegner, 3 verschiedene und das direkte
Duell. Korotkjevitch gegen Platz 6 (ELO 2160 / DWZ 2140), 7 (2119/2021) und 9 (2148/2069), Pähtz wiederum gegen Platz 10 (2115/2133), 18 (2113/2167) und 23 (2102/2105).
Korotkjevitch hat also klar bessere Buchholz und Summenwertung, aber nun
einmal die schlechtere Gegnerwertung (durch das direkte Duell). Ohne ELO, d.h.
nur nach DWZ wäre Pähtz mit größerem Abstand Sieger, daher auch dessen bessere Turnierleistung (H-Zahl) in der DWZ-Auswertung. Seel hatte kein Kriterium auf seiner Seite für Platz 1.

2) Koller hatte kein Losglück in der letzten Runde, vielmehr war es höchstens ausgleichende Gerechtigkeit. Denn Eisenbeiser (ELO 2210, aber DWZ 1808)
hatte Figura schon in der 2. Runde. Abgesehen vom direkten Duell gab es auch
hier nur drei verschiedene Gegner:
Koller gegen Platz 14 (1730), 23 (1386) und 24 (1765) bzw. Figura gegen
Platz 11 (1730), 17 (1732) und 26 (1445). Die Feinwertung wurde also nicht durch die 9. Runde maßgeblich beeinflußt sondern durch das direkte Duell. Trennt man sich aber von der Vorstellung das sie aufeinander trafen ist aber Remis von Koller gegen DWZ 1963 höher einzuschätzen als das von Figura gegen DWZ 1863, oder?

3) Korrekt, Fliter hat bessere Kriterien (Gegnerwertung, Buchholz) auf ihre
Seite, doch Schlosberg hat direktes Duell gewonnen (moralisch damit besser als
Fliter?). Denke wie ihr, das Fliter zurecht vorne landete.

4) Rau spielte gegen Platz 2-11 außer 5, Seifert wiederum gegen 2-9 außer 5
und zusätzlich 15 und 24. Rau hatte also gegen Platz 10 (2076/1841) und 11
(2163/2085) zu kämpfen. Seifert wiederum gegen Platz 15 (2124/2058) und 24 (-/1919). Der DWZ-Schnitt wäre knapp zu Gunsten von Seifert (auch mit dem direkten Duell). Hier entscheidet tatsächlich die höhere ELO 2076 statt DWZ 1841. Es entspricht aber der Buchholzwertung, so daß auch ihr es als gerecht empfindet, das Rau Meister ist. Übrigens: Der Gegnerschnitt stand ja fest (berechenbar), daher ggf. auch das 15zügige Kurzremis, welches ihn zum Meister machte.
Wer weiß, ob bei Feinwertung DWZ-Gegnerschnitt er nicht auf Sieg zum Abschluß gespielt hätte...

Kleine Anmerkung am Rande: Es gibt bei der DEM keine u14m, u16m und u18m. Sondern vielmehr u14, u16 und u18. Ansonsten hätten bei u16 (Jevgenija Naiditsch) und u18 (Irina Naiditsch, Leonie Helm) auch keine Mädchen mitspielen dürfen. Im Bereich der DSJ gibt es allgemeine Altersklassen und Mädchen-Altersklassen, aber keine reinen Jungenturniere...

(...)

Ciao, Norbert Lukas (Nationaler Spielleiter DSJ)


Norbert Lukas hat uns im Briefwechsel noch weitere Fragen beantwortet:

schach.com: Muss bereits im Jugendbereich den Wertungszahlen eine entscheidende Bedeutung für die Turnierplatzierung eingeräumt werden? (Bei Turnieren mit mehr als 5 Runden spiegelt die Buchholzwertung die Leistung im Turnier meiner Ansicht nach besser wieder. Bemerkenswert finde ich, daß hohe Zahlen der Gegner nützlich, eine eigene hohe Zahl jedoch schädlich für die Wertung ist.)

Norbert Lukas: Buchholz gerechter ab 5 Runden? Streng genommen wird Buchholz stark durch Auslosung und damit letzlich durch Startnummer (also ELO) beeinflußt. Auch ist Buchholz nicht immer gerechter, wenn auch in der Turnierpraxis häufiger anzutreffen. Warum ist Sieg gegen jemanden mit Losglück und vielen Punkten (z.B. 5,0) besser als ein durchgereichter DWZ-Favorit, der mit Auslosungspech z.B. nur 4,5 Punkte holte. War der DWZ-Stärkere wirklich so leicht in dem Turnier oder der DWZ-Stärkere so schwer? Ein Kriterium welches der schwerere Gegner war könnte deren H-Zahl sein, doch auch die beruht letztlich auf vorher erbrachte Leistungen (DWZ) der Gegner.

schach.com: Welchen Sinn macht es, für die Wertung der Spieler Elo-Zahlen den Vorrang vor der DWZ zu geben? Ist dies in der Spielordnung gemeint, wenn vom Wertungsschnitt die Rede ist? Werden die Jugendmeisterschaften von der FIDE ausgewertet?

Norbert Lukas: Die DEM werden ELO-ausgewertet, wenn möglich, d.h. für 2001 wurden die u14, u16, u18 und u18w zur ELO-Auswertung angemeldet und nun auch eingereicht. Daraus ergibt sich zwingend, das die Startrangliste nach ELO aufgestellt wird (und damit auch Auslosung stark beeinflußt; DWZ-Gegnerschnitt wäre von daher nicht sehr passend). Fraglich ist höchstens ob man alle ELO-Träger vor ELO-losen Spielern setzt oder ob ELO-Loser mit hoher DWZ eingereiht wird.

Gegnerschnitt wäre mit ELO berechnet, aber ohne ELO-Auswertung durchgeführt, tatsächlich etwas zweifelhafter, doch auch bei normalen Opens ohne ELO-Anmeldung gilt für Startrangliste ELO vor DWZ. Warum sollte für Feinwertung anderes gelten? Für die diesjährige DEM stellte sich dieses Problem nicht, da bei u14w und u16w nur ELO-Lose spielten und der Rest der Jugendklassen ELO-Turniere waren.

(...)

Norbert Lukas: PS: Kritik hätte man vorher äußern müssen, wenn man anderes will: Denn Regelung so durch JSpO seit etlichen Jahren...

schach.com: Kritik an einer Spielordnung kann man, denke ich, auch dann anbringen, wenn man Auswirkungen erkennt. Vorher alles abzusehen ist kaum möglich. Und ohne griffige Beispiele läßt sich eine Meinung auch schwerlich untermauern. Eloglück halte ich hier übrigens für zweitrangig. Mehr stört mich die Tatsache, daß nicht die Spielstärke der Gegner im Turnier (=aktuelle Form, Buchholz) sondern ausserhalb des betreffenden Turniers herangezogen wird. Sieger und Verlierer der gewählten Wertungsmethode haben da vermutlich unterschiedliche Ansichten ;-)

Norbert Lukas: Kritik: Die DSJ-Spielordnung sieht die Feinwertung "Gegnerschnitt" seit etlichen Jahren als Kriterium vor und so gab und gibt es immer wieder Beispiele für und gegen sie. Zuletzt wurde sie bei der Reformierung der Altersklassen (u20, u17, u15, u13, u11 geändert in u18, u16, u14, u12, u10) so bestätigt. Ich sehe daher derzeit keinen Handlungsbedarf seitens der DSJ und anscheinend denken die Landesschachjugenden ebenso. Bei der u10 und u12 sind natürlich die Wertungszahlen noch nicht aussagefähig/stabil genug, so daß hier natürlich Gegnerschnitt kein Kriterium sein kann. Buchholz scheint logisch, das weitere Kriterium "verfeinerte Buchholz=Buchholzsumme" hat natürlich weniger Wert.

schach.com: Danke für die Erläuterungen, die viel zum Verständnis der Wertungen beitragen!